Lebensqualität statt Wettbewerbsfähigkeit
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Diese Woche hat das Schweizer World Economic Forum (WEF) mal wieder seinen „Index der Wettbewerbsfähigkeit“ veröffentlicht. Das Konzept der „Wettbewerbsfähigkeit“ für Länder verstehe ich noch immer nicht, sehe aber, dass es in den letzten Jahrzehnten sehr einflussreich war. Nun habe ich den Eindruck, dass sich auch im WEF – sehr langsam – eine Bewegung weg vom Fokus auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts hin zum Fokus auf Lebensqualität andeutet. Noch vertritt das Forum eine verengte Sicht von Lebensqualität (well-being): Wettbewerb und Produktivität führen zu mehr Wirtschaftswachstum und damit zu mehr Lebensqualität. Das greift zu kurz und richtet die gesellschaftliche Aufmerksamkeit allein auf die Bedingung unter denen die Unternehmen handeln. Erschwerend kommt hinzu: die vom WEF nach wie vor versprochene Verbindung zwischen seinem Index und künftigem Wirtschaftswachstum gibt es gar nicht, wie schon vor 10 Jahren festgestellt wurde. Aber das ist heute nicht mein Punkt.
Lebensqualität umfasst viel mehr als Produktivität und Wirtschaftswachstum. Das berücksichtigt das Forum nicht und sollte somit auch nicht so tun, als ob es ihm um die Lebensqualität der Menschen ginge. Es verwendet zum Beispiel keine Indikatoren für Umweltaspekte oder für den gesellschaftlichen Zusammenhalt – beides sind offensichtlich wichtige Themen, die aber kaum oder sogar negativ mit dem Bruttoinlandsprodukt zusammenhängen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist da viel weiter und berücksichtigt in ihrem großartigen „Index des besseren Lebens“ zum Beispiel die Qualität des Gemeinsinns oder die Luftverschmutzung. Selbst die Qualität der Demokratie scheint für das WEF keine relevante Größe zu sein.
Auch nutzt das WEF ein paar Indikatoren, die für den gesunden Menschenverstand und für Zufriedenheitsforscher eher problematisch erscheinen. Mitarbeiter möglichst schnell loswerden zu können, schätzt der WEF als positiv ein. Dabei sollte mittlerweile klar sein, welchen hohen Bedarf an Stabilität die Menschen heute haben und wie schädlich Arbeitslosigkeit ist. Und dass eine immer höhere Sparquote nicht unbedingt immer besser ist, könnte auch intuitiv einleuchten, wenn man an 100% sparen denkt.
Natürlich gibt es viele Parallelen vor allem in den Themenfeldern Verkehr, Sicherheit, Bildung und Gesundheit. Wie häufig Busse und Bahnen fahren und wie teuer eine Fahrt ist, das scheint für „Wettbewerbsfähigkeit“ ebenso relevant zu sein wie für die Lebensqualität vor Ort. Gleiches gilt für die Zuverlässigkeit der Polizei, die Weiterbildungsaktivität von Unternehmen oder die Kindersterblichkeit. In der anstehenden Überarbeitung des WEF ist sogar daran gedacht die Pressefreiheit aufzunehmen – ein Indikator, der auch in „Die glückliche Variante des Kapitalismus 2.0“ dabei ist.
Und es gibt im WEF-Ansatz gute Ideen, die für die Messung von Lebensqualität relevant sein könnten. So wird im Themenfeld Bildung künftig wohl eine Umfrage darüber genutzt, ob die Lehrer ihre Schüler zu kreativem und kritischem Denken ermutigen. Aus dem Wirtschaftsbereich könnten sich Lebensqualitätsforscher weitere WEF-Indikatoren näher anschauen: Ist die wirtschaftliche Aktivität in einem Land stark konzentriert oder über viele Firmen verteilt? Sind die Manager eines Landes bereit, Autorität an ihre Untergebenen zu delegieren? Wird innerhalb und zwischen Unternehmen zusammengearbeitet?